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michael herrschel:
hagar. wüstenlied

 

Die Hitze, mit reißenden
alles versengenden Atemzügen,
kostete ihre Herrschaft aus.
Weidete sich am Leben.
Betäubte. Tötete. Fraß.

Zieht sich nun
langsam zurück.
Lässt ab von allem,
was überdauerte
und sich durchschlug
von Düne zu Düne.

Der Abendwind breitet ein
Bündel von Schatten aus.
Schwerelose Tücher
über den Leichen, die
am Wegrand liegen.

Die Sonne, die mörderische
Sonne am Himmel, die ohne
Erbarmen alles verbrannte:
Sie ahnt den eigenen Tod,
zu dem sie verurteilt ist.

Sie neigt sich. Rot vor Zorn.
Sie zittert. Sie bebt.
Sie fällt unter dem
Schwerthieb der Stunde.

Klaffender Abgrund
verschlingt sie. Ihr Blut
spritzt über die feurig
glühenden Blätter dicht
gedrängter Palmbäume.

Da muss ein Brunnen sein.
Die durstige Reiterin sucht.
Folgt fremdem Hufschlag.
Flackernden Lichtern, die
Halt machen vor einer Mauer.

Einer Festung mit prall
gefüllten Kellern. Eng mit
Vieh besetzten Ställen. Scharf
bewachten Granatapfelgärten.

Wie kommst du da hinein?
Um welchen Preis?
Es muss gehandelt werden.
Gezahlt mit der harten Münze
von Stolz, Zweifellosigkeit
und unbeugsamen Blicken.

Du bist ein Rätsel.
Wie du stehen bleibst
vor den Wächtern.

Ohne Waffen,
ohne Gefolge:
So siehst du
nicht gefährlich aus.

Und eben das
weckt ihre Angst.

Eine verkleidete
Dämonin einzulassen,
wäre sicherer Tod.

Jedoch anders herum:
eine unbekannte
Göttin abzuweisen,
hieße ewig verdammt sein!

Sie räuspern sich.
Turban an Turban
murmeln sie und
wägen ab, bis einer
den Befehl erteilt:
rasch, in finsterer Ehrfurcht.
Und sie öffnen dir das Tor.

 

„Speckig glänzende Steine.
Fette Kräuter. Schwere Teppiche.
Weiche fleischige Früchte.
Ein Saal mit funkelndem Geschirr.

So also sieht sie aus:
eure geschützte Welt,
in der ihr lebt ohne Mangel.

Verzeiht meine Ungeduld.
Ich höre, wo die Quelle
ins Felsenbecken fließt.
Ich muss trinken.
Stört mich nicht.

Was denkt ihr?
Ich sehe aus eurem
fragenden Zwinkern,
euren Mündern, die
im Kauen innehalten:

Ihr wisst nicht, wer wir sind.
Könnt euch nicht erklären,
was für ein Zauber von uns ausgeht,
dass ihr so schweigt und staunt.

Und ich muss lachen!
Fleisch und Gebein sind unversehrt.
Wie das Bündel von saugendem
schreiendem Leben,
das ich mit mir trage.

Ja: Ich bin durch Totenland
geritten. Weit genug.

Dem Blick von Raubtieren
halte ich stand. Ja!

Und ich singe an diesem Feuer,
solange mein Gastrecht währt.

Gebt mir ein Zelt
für die Nacht.
Und wisst: Ich habe
einen leichten Schlaf.
Höre jeden Schritt.
Jedes Flüstern.
Wittere jede Gefahr.

Wachend durchquere ich
Täler des Traums.
Und sehe die erste
Farbe im Osten.

Erkenne die Rufe
der Vögel, die mir
den Weg weisen.
Fort von hier.
Anderswohin.“

 

copyright by michael herrschel (gema-nr. 704152)

  

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